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AutorenbildMario Dieringer

Wie muss man sich das vorstellen, wenn man erst depressiv und dann suizidal wird?



Jeden Morgen ist es dasselbe:

Das Aufstehen fühlt sich an, als würde man sich gegen eine unsichtbare Mauer stemmen und man kämpft gegen eine Macht, die einen mit brachialer Gewalt tief in die Matratze drückt. Der Wecker klingelt, doch anstatt aus dem Bett zu hüpfen, schlage ich eine Stunde lang alle 10 Minuten auf den Snooze Button.

Die Decke über meinem Kopf ist nicht nur ein Schutz vor dem kalten Zimmer, sondern auch vor der düsteren Welt da draußen, die sich manchmal zu groß und bedrohlich anfühlt und jeden Tag ein Stück mehr zu einem Feind wird, der mir nichts Gutes will.


Die einfachsten Aufgaben des Tages wirken wie unüberwindbare Hürden. Zähneputzen, duschen, anziehen, Zum Briefkasten gehen oder Lebensmittel besorgen – Dinge, die früher ganz selbstverständlich waren, kosten nun unendlich viel Energie und für manches hat man einfach keine Kraft mehr. Briefe öffnen zum Beispiel.


Es ist, als ob mein Körper ständig in Zeitlupe bewegt wird, gefangen in einem schweren unsichtbaren Nebel, der jede Bewegung fast unmöglich macht und was mit am Schlimmsten ist: alles was ich tue bedeutungslos erscheinen lässt.


Das Frühstücken? Oft vergesse ich es oder habe schlichtweg keinen Appetit. Manchmal sitze ich einfach da, starre auf den leeren Tisch, schlürfe allenfalls einen Kaffee und frage mich, wie es so weit kommen konnte.


"Warum?" fragt mein herzzerreissender Schrei , der sich durch Zeit und Raum zieht und nur selten eine Antwort erfährt.


Das Gefühl der Leere zieht sich durch den gesamten Tag, begleitet von einer schweren, allumfassenden Traurigkeit, die keinen klaren Grund zu haben scheint. Fast scheint es so, als ob mein gesamtes Sein laut anklagend den Verlust jeglicher Perspektive und Lebenslust beweint.


Wenn ich es schaffe, zur Arbeit zu gehen, fühle ich mich wie ein Schauspieler in einem schlecht inszenierten Theaterstück. Ich lächle und tue so, als wäre alles in Ordnung, während innen drin ein Sturm tobt und sich die Bühne auf der ich stehe Stück für Stück auflöst.


Die Konzentration fällt mir dann unendlich schwer, und ich mache ständig Fehler, weil meine Gedanken dauerhaft abschweifen. Am Ende eines Satzes versteckt sich sein Anfang im Dunkel der Unendlichkeit und es gibt nichts zu sagen, weil ich mich nicht mehr an die Frage erinnern kann, die so bedeutungslos wurde, wie der düstere Moment meines gesamten Daseins.


Freunde treffen? Meistens sage ich ab, weil das Haus zu verlassen eine gigantische Anstrengung bedeutet. Die Einsamkeit ist erdrückend und fühlt sich manchmal tödlich an, aber die Gesellschaft anderer Menschen kann ich kaum ertragen. Das Glück ihres Daseins ist nicht mehr greifbar und ich verstehe nicht, warum ich keinen Anteil mehr daran haben darf, obwohl jeder mit mir durch das Leben tanzen will. Ihr fröhliches "Komm" zerschellt an der dicken Milchglasscheibe, die mich von ihne und vom Leben und all den schönen Dingen die den Anderen widerfahren trennt.


Die Freude an Hobbys ist nicht Mal mehr eine Erinnerung. Aktivitäten, die mir früher Spaß gemacht haben, sind wie ausgelöscht. Ich spüre nicht mehr den Grund, der mir Spaß machte und nichts mehr von dem Verlangen, das mich früher aus dem Haus trieb, immer auf der Suche nach dem nächsten Kick oder einen schönen Abend mit Menschen die ich mochte.


Und dann sind da die schlaflosen Nächte. Stundenlang liege ich wach und starre die Decke an, während die Gedanken unaufhörlich kreisen und lautstark lärmen. Selbst der Schlaf bietet keine Erlösung – oft wache ich mitten in der Nacht auf, gequält von Albträumen oder unerklärlicher Unruhe und das Dunkel der Nacht bereitet seinen schweren Mantel über die Sonne des Tages, die darunter langsam aber sicher erstickt.


Alles erscheint sinnlos und hoffnungslos und perspektivlos. Das Leben, das einmal so bunt und voll von Möglichkeiten war, ist jetzt eine endlose, graue Landschaft, in der jeder Schritt zur Qual wird. Die Zukunft ist nur ein vager Schatten der in die Endgültigkeit der monströsen Dunkelheit rutscht, der nichts und niemand entkommen kann. Das Hier und Jetzt und jedes freundliche "Hallo" wurde schon lange zu einem schweren Gewicht, das mich nach unten zieht, bis auf den Grund der Hölle, deren Feuer in der Realität unbeschreibliche Seelenqualen sind, deren Flammen mich bei lebendigem Leibe rösten.


Depressionen sind mehr als nur Traurigkeit – es ist, als ob die eigene Seele langsam erlischt, und die Welt um einen herum ihre Farbe verliert, jeden Tag ein wenig mehr, bis nur noch eine gräulich schwarze Masse übrig bleibt, die vom Sturm des Lebens erst langsam und dann immer schneller austrocknet und in ihre einzelnen Atome aufgelöst wird, die tief in die Dunkelheit des Universums geblasen werden und sich in der Unendlichkeit des Alls verlieren.


Und dennoch versuche ich, Tag für Tag weiterzumachen, in der Hoffnung, dass irgendwo am Horizont ein Funken Licht wartet. Doch je länger es dunkel bleibt umso größer wird der übermächtige Wunsch die Ungewissheit des Todes der Gewissheit über den Freud- und perspektivlosen Ist-Zustand vorzuziehen. Was zunächst nur ein erschreckender Gedanke ist, wird zu meinem Freund und schließlich verwandelt sich der Tod zur echten Perspektive und Lösung, die dann zuschlägt, wenn ich und alle in meinem trostlosen Leben vorhandenen Menschen es am wenigsten erwarten. Nicht ich, sondern ES drückt den Aus-Knopf und es gibt nichts, was ich in diesem Moment tun kann, außer zu sterben.


Mein früherer Schrei nach dem "Warum" wird zur allgemeinen Frage auf die es keine Antwort mehr geben wird.


.... Ausser die: ich hatte es versäumt rechtzeitig im Dunkeln, dem Funken der Hoffnung entgegen zu laufen. Mir war nicht bewusst, dass sie immer da ist, auch wenn ich sie nicht sehen kann, so wie der Leuchtturm vor der Küste, der immer brennt aber nicht von jedem Punkt der See aus zu sehen ist.


Im zweiten Lebensanlauf habe ich mich entlang getastet, geheult, geschrien, verzweifelt gebettelt und als ich nicht mehr daran geglaubt habe, weil die düstere Nacht sogar ihr Schwarz verloren hat und der Tod nach seiner zweiten Chance griff, sah ich ein Glimmen, das im Sturm immer wieder ausgelöscht wurde und trotzdem wieder und wieder erschien, wie die Funken eines Feuerzeuges, das einfach nicht brennen will.


Ein Glimmen, das dann doch zu einer kleinen Flamme wurde und sich zu einem Feuer ausbreitete, aus dem mein Leben neu entstand. Bunt, groß, besser, glücklich mit kleinen schwarzen Stellen, die die Farbe erst sie richtig zum Leuchten bringen.


Ich musste sterben um wirklich leben zu dürfen und Antworten zu finden.


Gib nicht auf. Egal, wie dunkel es ist.

Du bist stärker.

Das warst du immer schon aber im Moment hast du es vergessen.


Lauf ...

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