Der Verlust eines Kindes ist eine der schmerzhaftesten Tragödien, die ein Mensch erleben kann. Ich habe sicherlich nicht die leiseste Ahnung, wie groß dieser Schmerz ist. Trotzdem gibt es tiefgründige philosophische und psychologische Gründe, warum es auch nach solchen unvorstellbaren Verlusten Perspektiven gibt, die uns ermutigen, weiterzuleben.
Ich glaube fest an die Bedeutung des Lebens an sich. Die Philosophie lehrt uns, dass das Leben eine tiefgründige Bedeutung und einen Wert besitzt, der weit über das hinausgeht, was wir verstehen können. Allein durch unser Dasein und unsere Entscheidungen verleihen wir unserem Leben Bedeutung. Ich glaube auch daran, dass es nicht in unserer Macht steht, dem Leben seinen Sinn abzusprechen, weil uns der Schmerz gebrochen hat und wir in diesem Schmerz weder Sinn noch Perspektive erkennen. Was, wenn genau dieser Schmerz notwendig ist, um dem Leben eine tiefere Bedeutung und eine Macht zu verleihen, die jenseits unseres Verständnisses liegt? Das ist es, was ich persönlich seit 2016 erlebe und der Grund, weshalb ich laufe und Mutmacherbäume pflanze.
Wir können trotz der Absurdität und des Schmerzes des Lebens Verantwortung dafür tragen, unser Dasein mit Sinn zu füllen. Vielleicht gerade jetzt oder nur dadurch sind wir plötzlich in der Lage dazu.
Die Kraft der Liebe ist größer als jeder Schmerz. Die Liebe, die wir für das verstorbene Kind empfinden, endet nicht mit dessen Tod. Diese Liebe kann Eltern motivieren, auf eine Weise weiterzuleben, die das Andenken des Kindes ehrt und seine Bedeutung in unserem Leben bewahrt. Viele finden Trost und Zweck darin, Gutes zu tun oder Projekte zu unterstützen, die im Einklang mit den Werten und Interessen des Kindes stehen. Das erlebe ich bei TREES of MEMORY regelmäßig. Viele Mitglieder sind über sich hinausgewachsen und haben einen neuen Sinn gefunden, auch wenn die Sehnsucht und ein gewisser Verlustschmerz sicherlich für immer bleiben werden.
Der Mensch ist ein zutiefst soziales Wesen. Die Unterstützung durch Familie, Freunde und Gemeinschaft kann uns in den dunkelsten Zeiten helfen, weiterzumachen und neue Wege zu gehen. Die Bedeutung der Gemeinschaft und der zwischenmenschlichen Beziehungen für ein erfülltes Leben muss ich betonen. Es gibt viele Menschen, die dein Schicksal teilen und dir beistehen können. Diese Beziehungen können eine Quelle der Stärke und des Trostes sein und bei der Akzeptanz und den ersten Schritten in ein neues Leben helfen.
Wachstum durch Leid ist möglich, auch wenn es schwierig und aussichtslos erscheint. Viktor Frankl, ein Holocaust-Überlebender und Begründer der Logotherapie, argumentierte, dass selbst in den schlimmsten Umständen das Streben nach Sinn uns helfen kann, zu überleben und zu wachsen. Das Konzept der „posttraumatischen Reifung“ beschreibt, wie Menschen nach extremen Leiden tiefere Einsichten, größere Empathie und ein stärkeres Gefühl für den Wert des Lebens entwickeln können.
Zeit spielt eine entscheidende Rolle im Heilungsprozess. Gib dir Zeit. Während der Schmerz niemals vollständig verschwinden mag, kann er mit der Zeit weniger akut werden. Die Zeit erlaubt es uns, neue Perspektiven zu entwickeln und zu lernen, mit unserem Verlust zu leben. Wir können das Leben nur rückwärts verstehen, müssen aber vorwärts leben und das eine kann dem anderen helfen, eine positive Zukunft zu entwickeln. Mit der Zeit können wir lernen, den Verlust in unser Leben zu integrieren und wieder Freude zu finden.
Die Suche nach neuen Bedeutungen ist wichtig und jede Ablehnung von Bedeutung ist fatal. Das Leben nach einem solchen Verlust kann uns dazu zwingen, neue Bedeutungen und Ziele zu suchen und auch zu finden, auch wenn es Jahre dauern wird. Diese Suche kann uns zu tiefen philosophischen und spirituellen Einsichten führen. Die Beschäftigung mit großen Fragen des Lebens und der Existenz kann uns helfen, neue Perspektiven zu entwickeln und unser Leben auf neue Weise zu schätzen. Auch das erlebe ich sehr stark und je länger ich unterwegs bin, umso intensiver wird diese Beschäftigung und tatsächlich bin ich extrem dankbar dafür.
Erinnerungen an das verstorbene Kind können eine Quelle des Trostes und der Inspiration sein. Du kannst das Leben des Kindes feiern und seine Geschichte weitertragen, denn du bist kein Opfer, auch wenn es sich so anfühlt. Das Bewahren und Teilen dieser Erinnerungen kann dir und deinen Liebsten helfen, eine Verbindung zu deinem Kind aufrechtzuerhalten und sein Erbe fortzuführen.
Bitte verliere nicht den Glauben an die Möglichkeit der Freude. Wir müssen daran glauben, dass es möglich ist, trotz des großen Verlustes wieder Freude und Erfüllung zu finden. Dieser Glaube mag anfangs schwach sein, aber kleine Schritte und positive Erfahrungen können uns helfen, wieder Vertrauen ins Leben zu fassen. Mein Vertrauen ist zurückgekehrt und dafür bin ich sehr dankbar.
Der Verlust eines Kindes ist eine der tiefgreifendsten Prüfungen des menschlichen Geistes. Und ja, ich bin kein Vater und kann nicht ermessen, wie sich der Verlust des eigenen Fleisches und Blutes anfühlt. Doch ich glaube fest daran, dass durch die Akzeptanz des Schmerzes, die Suche nach Sinn, die Unterstützung durch Gemeinschaft, die Kraft der Erinnerung und den Glauben an die Zukunft auch du wieder Wege finden wirst, weiterleben zu wollen und sogar zu wachsen, ohne den Tod herbeizusehnen, der dir ohnehin nicht verspricht, wieder mit deinem Kind vereint zu sein. Aber dein Leben, dein Geist, deine Emotionen und Ebenen, die du vielleicht noch nicht entdeckt hast, werden dich die Existenz deines Kindes spüren lassen und dir auch wieder eine gewisse Leichtigkeit ins Leben bringen. Wenn dies mein Leben so sehr verändert hat und ich die Existenz meines Freundes sogar körperlich spüren kann, sehe ich nicht, warum das bei dir nicht auch eintreten soll. Dies ist kein leichter Weg, aber er kann alle Betroffenen in deiner Lage zu einer tieferen Wertschätzung des Lebens und zu größerer Weisheit führen. Hab Vertrauen, Urvertrauen. Das Universum hat dich nicht vergessen. Im Gegenteil.
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