top of page
AutorenbildMario Dieringer

Brunos Baum in Wesseling

Aktualisiert: 27. Mai 2020


Da steht sie nun. Eine große mächtige Eiche. Ein starker Baum, der von nun an, an einen eigentlich starken Mann erinnern soll: Bruno. Bruno hat hier in diesem Park seine Kindheit verbracht und später war er hier mit seinen Fußballkumpels am Bolzen. Deshalb gab es von Anfang an keinen anderen möglichen Standort, als diesen Platz hier. Dafür haben wir vom Verein TREES of MEMORY gemeinsam mit Gabi gekämpft. Es war nicht einfach und uns traf so manche ernüchternde Rückmeldung, die uns wieder einmal vor Augen führte, wie fremd der Gedanke an einen Suizid für diejenigen ist, die vom Schicksal umärmelt, keinen erleben mussten. Und wie furchtbar die Auseinandersetzung mit dem Thema für Andere ist, die es bereits erlebt haben und lieber mit einem Mantel des Schweigens reagieren, als nochmals alte Wunden aufzureißen. Viele Menschen standen uns beiseite und haben bei den Verantwortlichen Überzeugungsarbeit geleistet. Auch wenn ich nicht weiß, was am Ende des Tages den Ausschlag gegeben hat, dass wir für Bruno, hier an diesem Ort eine Eiche pflanzen dürfen, so hoffe ich doch, dass die Entscheidung von Empathie und Respekt für alle Suizid-Opfer Wesselings geprägt ist. Viel mehr hoffe ich jedoch, dass sich mit diesem Baum, den wir heute unter so großer Beteiligung pflanzen, auch ein klein wenig die Erkenntnis breit macht: dass Suizidalität ein wirkliches Problem ist, das die Schönen, die Berühmten und die Reichen genauso trifft, wie die Jungen, die Wilden, die Unbekümmerten, die Armen, Mädchen und Jungs im Teenageralter, immer mehr Senioren aber auch junge Frauen, Mütter, Väter und stattliche Kerle, so wie Bruno eben einer war.

An ihn erinnert nun also eine Eiche. Ein Baum der für die meisten Menschen pure Lebenskraft und unendliche Stärke symbolisiert. Der ursprüngliche Name der Eiche lautete „Duir“ und daraus entstanden ist das, was wir heute als Tür bezeichnen. Starke Eichentüren schützen noch heute Pforten und Häuser. Sie sperren aus, was nicht herein soll und sie sperren weg, was nicht gut ist. Türen können sich aber auch öffnen und ich wünsche mir von ganzen Herzen, dass dieser Baum hier eine Tür öffnet und den Weg ebnet für ein starkes Team.

Bruno mochte Sport und heute sind einige seiner Fußballkumpels anwesend. Er war ein Teamplayer und wie das so ist im Sport, war er stets bestrebt, mit seinen Freunden das gemeinsam gesteckte Ziel zu erreichen.

Er war aber auch ein Familienmitglied, ein Sohn und auch da ein Teamplayer, auf den man sich verlassen konnte. Doch schleichend veränderte sich Bruno. Was früher in seinem Körper und in seinem Geist eine solide Einheit darstellte – also auch sein ganz privates eingespieltes Team war, auf das er sich immer verlassen konnte, verlor sich zunächst schleichend und kaum bemerkt auf dem Spielfeld des Geistes, der Gedanken und des Lebens. Mit zunehmender Aggressivität gingen Körper, Geist und Gedanken gegeneinander vor, anstatt gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Aber nicht genug damit. Bruno fand sich immer häufiger in verschiedenen Welten wieder und wusste irgendwann nicht mehr, bei wem er eigentlich noch mitspielte. Und was eben noch ein wirres Gedankenspiel war, wurde plötzlich zu einer Art Kriegsschauplatz in einer Realität, die seinem Leben genauso fremd war wie in unserem Leben. Bruno musste seiner falschen Realität entkommen und endgültig einen Schlussstrich ziehen, sonst würde ihn „die Mafia holen“ wie er mal sagte. Er hat es versucht, er ließ sich helfen und doch waren die Bilder im Kopf stärker, als die Liebe all derer, die für ihn da waren und ihm helfen wollten. Als er sich schließlich aufmachte, um seinen Geistern zu entkommen, hat er das falsche Spielfeld verlassen und die Mafia hat ihn am Ende doch geholt, so sagte er selbst.

Die jungen Männer, die vorhin ihr Fußballschuhe um den Baum stellten, gehören zu Brunos Team. Auch Brunos Schuhe stehen ihr. Seine Familie, sein Bruder, sein Vater und seine Mutter sind anwesend. Anwesend sind viele, die ihn kannten und einige, die voller Mitgefühl zur Unterstützung heute gekommen sind und wir, von TREES of MEMORY sind hier vor Ort oder auch im Geiste zu Hause mit dabei. Und da im Mittelpunkt steht Brunos Baum. Ich würde sagen: Bruno ist wieder im Spiel angekommen und war sowieso nie wirklich fort.

Mit dieser Eiche, öffnen wir alle die Tür zu einer Zukunft, in der Bruno liebevoll in unserer Mitte sein darf. Tage, Monate und Jahre die geprägt werden von den fröhlichen Erinnerungen, in denen der Sohn, der Bruder oder Euer Kumpel auch schmerzlich fehlen darf. Ein Leben in dem Bruno wieder einen ruhigen Platz hat und die Ketten des Schmerzes der Akzeptanz gewichen sind, dass der Tod nicht verhandelbar ist. Ein Leben in dem die unbändige Wut losgelassen hat zu hadern, zu toben und zu schreien. Ein Leben das wieder seine Mitte entdeckt und in der Stille seiner Seele Halt und Trost findet. Ein Leben in dem Bruno wieder da ist, spürbar ist und in dem er jedem ein Lächeln schenkt, der an ihn denkt.

Diese Eiche hat über Jahre ihre Wurzeln geschlagen und sich auf ein beständiges, vielleicht ein wenig langweiliges Leben irgendwo da draußen auf dieser Welt eingerichtet. Und von heut auf morgen, hat man sie aus ihrem Leben gerissen und nun steht sie hier, wo sie keinen kennt, wo Mutter Erde eine ganz andere ist und wo vielleicht nicht ganz gesichert ist, ob ihr das alles schmecken wird. Damit hat sie mit Dir Gabi, mit Euch als Familie und eigentlich auch mit Bruno sehr viel gemeinsam. Ihr wurdet alle entwurzelt und findet Euch in einer Situation wieder, in der man eigentlich keine Wurzeln schlagen möchte aber muss. Und trotzdem wird diese Eiche sehr groß und sehr stark werden, deren Entwurzelung eines Tages nicht mehr zu sehen sein. Vielleicht wird sie der schönste Baum im ganzen Park. Jeder von Euch wächst und wird weiter wachsen. Jeder für sich allein und doch seit ihr alle miteinander verbunden im Glück eine Familie zu sein, die füreinander da ist. Ihr alle teilt einen unfassbaren Schatz, den Euch niemand nehmen kann, gleich was geschieht: Die Erinnerung an Bruno und an ein gemeinsames Leben. Sein Lachen, seine ersten Schritte, sein erstes etwas ausgefressen haben, seine Umarmung, seine Liebe, seine Freundschaft – das ist Brunos Erbe, das er für jeden für Euch hinterlassen hat. Und jeder hat seinen eigenen Anteil, nichts doppelt sich, jeder hat seinen Bruno.

Als mein Lebenspartner sich 2016 das Leben nahm, hätte ich den Schmerz und die falsche Schuld fast nicht überlebt. Der Schmerz der sich jeden Tag durch den Körper frisst, die Tränen die einem den Schlaf rauben, die Wut, die Schmerzen erzeugt, die Kreisgedanken, die mich fast haben verrückt werden lassen, die Trauer, die mich lieber in den Tod getrieben hätte, anstatt mich einfach leben zu lassen. Es war und mitunter ist es die schlimmste Zeit meines Lebens. Etwas das ich dem schlimmsten Feind nicht wünschen würde. Es hat so unendlich lange gedauert bis ich plötzlich verstand, dass niemand von uns die Verantwortung für eine Krankheit und ihre Folgen tragen kann. Ich nicht, die Familie nicht, die Freunde nicht, das Leben nicht und Jose natürlich auch nicht. Der Schmerz der noch heute ab und an mit bösartiger Mächtigkeit durch mein Leben poltert ist verschwunden, als ich anfing jede Erinnerung nicht mit Trauer und Wut zu betrachten, sondern mit der Emotion die tatsächlich eine Rolle spielt und das war in unserem Fall meist sehr lustig. Wenn ich heute an Jose denke, auch an die schlimmen Zeiten, dann schiebt sich meist unmittelbar sofort das Bild seiner Feuerwerk speienden Augen ins Gedächnis und ich höre sein schallendes Gelächter und spüre, wie wir uns in den Arm nehmen. Ich denke an eine überfüllte Bäckerei an einem Sonntagmorgen, die sich totlachen, als Jose laut kreischend sich gegen meinen Vorschlag stemmte Apfelkuchen mit Rosinen zu kaufen. Ohne Vorwarnung platze es ihm raus: Rosinen kommen wir nicht ins Haus – das sei ja wohl widerlich.

Das drückt mir zwar auch die Tränen ins Gesicht aber ich bin dankbar, dass ich derjenige sein durfte, mit dem er das alles geteilt hat. Und ich bin dankbar dafür, dass ich heute hier stehen darf und mit TREES of MEMORY nicht nur eine Art Mitte gefunden habe, sondern auch eine Aufgabe für die ich brenne und für die es sich lohnt zu kämpfen, zu laufen, zu leben, zu lieben und all das zu tun was es braucht, um Menschen in derselben Situation zu zeigen, dass es wieder aufwärts gehen kann und auch wird, wenn wir die Wut, den Schmerz und den Tod akzeptieren und damit auch loslassen können. Es ist nicht schlimm, wenn ein schwarzes Puzzleteil zurück bleibt, wie das bei mir der Fall ist und das Gefühl des Unvollständig sein, mit einer gewissen Melancholie einhergeht. Weil ich weiß, dass dieses Puzzleteil lediglich schwarz ist und zum Bild gehört, gleich einem versehentlichen Farbklecks auf einem Foto. Das was ich auf dem Foto sehe ist immer noch da. Und wenn eines Tages jemand ein Foto meines Lebens aufnimmt, dann wird da auch ein schwarzer Klecks sein, der irgendwie einfach dazu gehört und sich wie selbstverständlich ins Bild schmiegt, ohne die gefühlt, bösartige Natur in seiner schwarzen Tiefe zu offenbaren.

Das was ihr seht ist immer noch da und das kann Euch niemand nehmen, weil Bruno eben auch immer noch da ist und viel mehr ist, als nur ein schwarzer Klecks. Seine Kumpels nehmen bei jedem Spiel seine Schuhe mit und stellen sie neben das Tor. Und da stehen sie wieder, zusammen mit uns. Und ich sehe keinen schwarzen Klecks, ich sehe Euch, ich sehe seine Kumpels und ich sehe Bruno und ich sehe seinen Baum. Brunos Baum, unter dem ihr künftig picknicken könnt, Geburtstage feiern könnt, den ihr umarmen könnt, mit dem ihr reden könnt und mit dem ihr Eure Freude und Eure Tränen teilen könnt. Brunos Baum, der für Lebenskraft und Stärke steht und diese Kraft und Zuversicht an Euch weiter gibt. Ein Baum der die Jahrhunderte überdauern wird. Ich sehe Blätter, in deren Rascheln ihr das Flüstern von Brunos Stimme hören könnt. Ich sehe einen Tree of Memory und ich sehe David, Jan, Achim, Free, Werner, Marten, Philip, Jan, Heikes Vater und nun auch Bruno in einer Reihe von Bäumen der Erinnerung, die ich in diesem Jahr gepflanzt habe, miteinander verbunden, wie sie uns halten und wie sie uns trösten. Bäume die uns alle an großartige Menschen erinnern, die uns fehlen, die uns geprägt haben und noch immer prägen. Menschen die, die Bilder unserer Leben gemalt haben und sie farbig und bunt machten. Bilder und Leben, die einem Triptychon gleichen. Das erste Bild war vor ihrer Zeit, das mittlere Bild zeigt das Geschenk der gemeinsamen Zeit und das dritte Bild zeigt den neuen Lebensabschnitt ohne sie. Einzelne Bilder die dennoch nur als Einheit nebeneinander Sinn machen, eine Geschichte erzählen, nichts an Farbigkeit verloren haben und wertvoller als alle Reichtümer dieser Welt zusammen sind. Ich sehe Menschen, an die wir uns mit Liebe erinnern werden, Menschen die uns im dritten Bild unsichtbar zur Seite stehen. Ich sehe sie weil und ich sehe sie wie in den Zeilen des jüdischen Gebetbuches beschrieben. Beim Aufgang der Sonne und bei ihrem Untergang

erinnern wir uns an sie;

Beim Wehen des Windes und in der Kälte des Winters

erinnern wir uns an sie;

Beim Öffnen der Knospen und in der Wärme des Sommers

erinnern wir uns an sie;

Beim Rauschen der Blätter und in der Schönheit des Herbstes

erinnern wir uns an sie;

Zu Beginn des Jahres und wenn es zu Ende geht

erinnern wir uns an sie;

Wenn wir müde sind und Kraft brauchen

erinnern wir uns an sie;

Wenn wir verloren sind und krank in unserem Herzen

erinnern wir uns an sie;

Wenn wir Freude erleben, die wir so gern teilen würden

erinnern wir uns an sie;

So lange wir leben, werden sie auch leben,

denn sie sind nun ein Teil von uns,

wenn wir uns an sie erinnern.

64 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page