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AutorenbildMario Dieringer

Rede zum Start von ToM und Pflanzung des ersten Baumes für David

Aktualisiert: 27. Mai 2020


In den letzten zwei Jahren habe ich meist vom Suizid und vom Tod gesprochen. Dieser Baum, der an dieser Stelle seine Wurzeln schlagen wird und für Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte überdauert, wird immer Davids und Svens Erinnerung in sich tragen und das Rascheln der Blätter wird ein wenig an Davids Lachen erinnern. Dieser Baum ist Leben. David war Leben. Jose war Leben und jeder einzelne von Euch ist Leben. Wir alle gehören zum Leben und jeder einzelne von uns ist wertvoll.

Menschen werden in depressiven Krisen mitunter Suizidal, weil sie nicht mehr daran glauben noch einen Wert zu haben. Wir Hinterbliebene ringen mit dem Leben, weil wir glauben versagt zu haben. Nach Joses Tod fürchtete ich um mein eigenes Leben, weil ich bezahlen sollte. Ich habe Schuld auf mich geladen, weil ich nicht länger damit leben wollte, dass er sich nicht vernünftig behandeln hat lassen. Und dann war da noch die unumstößliche Gewissheit, dass ich und unsere Beziehung es nicht mal wert waren, dass Jose eine Behandlung versuchen wollte. Er wollte es nicht, weil er sich vor den Konsequenzen fürchtete. Die Miete nicht mehr bezahlen zu können, den Unterhalt für die Tochter schuldig bleiben zu müssen, den recht neuen Job zu verlieren und vieles mehr.

Als ich jedoch das Wort Schuld, durch Verantwortung ersetzt habe, änderte sich die Perspektive gewaltig. Ich kann nämlich nicht an seinen Depressionen und Suizidgedanken verantwortlich sein, die er seit seinem 16ten Lebensjahr mit sich rum trug. Mir wurde bewusst, dass unser Streit, der letzte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Aber ich konnte dieses Fass unmöglich gefüllt haben. Ich kann auch keine Verantwortung für seine Verlustangst tragen, wenn ich zwei Jahre lang beteuere: Ich liebe Dich und ich will mit Dir alt werden.

Und als ich mir bewusst wurde, dass ich die ganze Verantwortung für die Dramen in seinem Leben nicht haben kann, zumal ich ihm Ärzte, Therapien, Untersuchungen und Medikamente besorgt habe, wurde mir klar, dass sein Tod, sein Suizid nichts mit meinem Wert als Mensch zu tun hat. Ich habe alles Erdenkliche getan, um ihm zu helfen. So wie ich alles Erdenkliche tun werde, wenn man mir einen Suizid ankündigt, wie das vergangenen Donnerstag der Fall war. Ich kann dann nicht mehr machen als die Polizei anrufen, was ich auch gemacht habe. Auch in Ihrem Leben ging es um Wert und Würde. Beides hat man ihr genommen. Dabei hat sie lediglich die Reputation ihres Mannes verteidigt, der sich vor zwei Jahren das Leben nahm. Diese Frau kämpft vor allem wegen ihrer Liebe und ich finde das sehr wertvoll. Und ich hoffe von ganzen Herzen, dass man sie gefunden hat und sie wohl auf ist.

Was mich vor 1,5 Jahren gerettet hat war neben der Tatsache, dass sich mir TREES of MEMORY präsentiert hat, die Erkenntnis, dass ich nur dann überleben werde, wenn ich mich von dem, was die Menschen sagen loslöse. Das ist gar nicht so einfach für jemanden, der sein ganzes Leben einfach nur gemocht werden wollte. Und es ist nicht einfach, wenn Menschen versuchen einen mit Schuld zuzupflastern. Dazu wurde mir dann noch öfters mitgeteilt, dass ich mit TREES of MEMORY wohl nicht alle Latten am Zaun habe. Das geht doch gar nicht. Ich danke allen, die das jemals zu mir gesagt habe, denn damit haben sie unwissentlich meinen Psychomotor mit Superkraftstoff gefüllt. Wie geil, wenn man zeigen kann, dass es doch geht und sogar noch viel größer wird, als man selbst vermutet hat.

Das steht Davids Baum. Was also genau geht nicht? Am Ostermontag pflanzen wir den Baum für Jan und zwei Wochen später den nächsten. Um die 40 Bäume in 12 Ländern, 30 000 Menschen die mir folgen und ihr alle, die heute hier seid. Was genau in Gottes Namen soll nicht möglich sein? Wenn ich Montag den Baum in Saulheim gepflanzt habe, ist der Kreis um die Erde bereits geschlossen. Man verbinde den einen rechts rum, mit dem anderen links rum und schon haben wir einen Kreis. Wie kann es sein, dass Menschen davon sprechen es geht nicht, ohne es zu versuchen? Warum hat Jose immer gesagt es würde nicht gehen. Anstatt die Energie in die Erfolglosigkeitsdebatte zu investieren, kann man auch nach Lösungen suchen. Und wir alle haben die Möglichkeit bei der Suche zu helfen – jederzeit. Manchmal reicht hierfür sogar schon eine Umarmung und der Satz: Ich werde Dir helfen.

Es gibt 5 Fragen, die ich mir wieder und wieder gestellt habe und die ich mir auch heute noch jeden Morgen bei meiner Meditationsübung stelle. Für jede Situation eigenen sich diese Fragen: Was verstehe ich nicht? Wie kann es besser werden? Was braucht es damit es besser wird? Was würde helfen es zu verändern? Was ist sonst noch möglich?

Die Antworten kommen nicht immer sofort. Doch sie kommen. In Form von Menschen, Gedanken, Situationen, Gesprächen und plötzlichen Angeboten. Wenn man losgelöst von allen Argumentationen darauf antwortet, ergeben sich plötzlich Perspektiven und Lösungen, die unfassbar sind. Neue Möglichkeiten, die keine Utopie sind – sondern fast wie von selbst Realität werden. Deshalb stehen wir heute hier. Weil aus einem Gedanken unter der Dusche, eine große Idee wurde, aus der Webseiten entstanden, Kontakte geknüpft wurden, fremde Menschen einen Verein gegründet haben und andere die Expertise und Mithilfe lieferten, die mir gefehlt haben.

Und da steht Davids Baum – der lebende Beweis dafür, dass alles möglich ist. Ich bin so stolz auf Euch alle. Ich seid für mich die Helden. Ihr habt Euch von mir berühren lassen und zieht einfach los und verbreitet dieses riesige Vorhaben. Ihr habt es kritisch hinterfragt und seht: Es funktioniert. Wir können damit Menschen erreichen, die Hilfe benötigen. Menschen die erleiden, was viele von uns auch schon durch haben. Ich wollte nichts weiter als ein kleines Licht in der Dunkelheit sein und jetzt ist die Kerze umgefallen und der Wald fängt an zu brennen. Und ich kann mir kein schöneres Feuer vorstellen.

Jetzt in diesem Moment geht es los und wir werden ein grünes Band um die Erde knüpfen, das an großartige Menschen erinnern wird und vielleicht für viele Jahrhunderte bestehen bleibt. Wir geben diesen Bäumen eine Seele und gießen sie mit unserer Liebe. Nicht nur zur Erinnerung an die Verstorbenen und nicht nur als Andenken an tiefe Liebes- oder Freundschaftsbeziehungen, sondern als weithin sichtbares Symbol dafür, dass es Hilfe und Hoffnung gibt.

Hoffnung dafür, dass selbst in der dunkelsten Stunde es wieder Licht wird. Und ich will mit jedem Baum eine Kerzenflamme der Hoffnung in die Dunkelheit setzen und dazu auffordern, jede verdammte Tür im dunklen Keller des Lebens aufzumachen, solange bis man das Licht gefunden hat. Auch wenn es nicht immer schön ist, was sich hinter einzelnen Türen verbirgt.

Das Licht ist immer da. Es versteckt sich nicht. Niemand braucht die Hoffnung zu verlieren, denn alles was wir brauchen, finden wir in unserem Herzen und da finden wir auch genügend Material, um wieder zu gesunden, bzw. wir finden genügend Material, das uns eigentlich davor bewahrt krank zu werden. Wenn ich auf andere gehört hätte, stände ich heute nicht hier, gäbe es Trees of Memory nicht und ich hätte niemals jemanden berühren können. Ich wüsste heute nicht, dass wir durchaus in der Lage sind, dem Leben jederzeit einen neuen Sinn und eine neue Richtung geben zu können. Aber ich weiß auch, dass dieser Gedanke bei manchen Krankheitsbildern nicht mehr wahrgenommen werden kann und der Mantel des Schmerzes alles verdeckt. Doch da kann jeder einzelne von uns helfen. Indem er einfach da ist – ein Freund ist. Da könnt ihr helfen, indem ihr die Idee von TREES of MEMORY weiter tragt, Menschen begeistert, neue Perspektiven schafft und die brennende Kerze in eine dunkles Zimmer stellt, dessen Tür noch verschlossen wird.

Was wir hier machen ist keine Aktion die den Suizid und die Trauer zelebriert und ich möchte auch nicht in Trauer vereint der Hoffnungslosigkeit hinterher hängen. Nein ich will das Leben in den Vordergrund rücken und ich möchte diejenigen unterstützen, die das Leben aus den Augen verloren haben. Weil man es wieder finden kann – wenn man sich traut. Traut Euch – seit mutig, folgt Euch selbst und kämpft wie Löwen für all das was es braucht um glücklich und erfüllt zu sein, ganz gleich was andere dazu sagen.

Und damit verabschiede ich mich von Euch. Passt gut auf Euch auf. Ich danke Euch allen von ganzen Herzen. Vor allem meinen Freunden und den Menschen die den Verein TREES of MEMORY mit so viel Mut und Entschlossenheit aufbauen. Ich liebe jeden einzelnen von Euch und mag keinen mehr missen.

Ich lade Euch alle ein mir zu folgen, mit mir zu laufen, mit mir zu lachen und zu weinen und dafür zu sorgen, dass jeder Baum die Hoffnungslosigkeit durch Tatendrang ersetzt – Ganz nach dem Motto: Plant a tree and walk with me.

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