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AutorenbildMario Dieringer

Rede anlässlich des ToM für Achim Heil

Aktualisiert: 27. Mai 2020


Heute pflanzen wir den vierten TREE of MEMORY – einen Baum der Erinnerung für Achim Heil.

Achim, der vor 18 Jahren von uns gegangen ist hat eine Lücke hinterlassen, die noch immer nicht geschlossen ist und die sich auch niemals schließen wird. „Noch immer denke ich jede Woche mindestens einmal an Achim“ hat mir Uli gesagt, als sie damals vor eineinhalb Jahren als Erste, einen Baum der Erinnerung bestellt hat.

„Wir Hinterbliebene haben Lebenslänglich bekommen“ sagte Heike, für deren Sohn ich vor wenigen Wochen einen Baum pflanzen durfte. Sie hat Recht, denn nicht nur Familienangehörige leiden unter dem Verlust ein Leben lang, sondern auch enge Freunde.

Die Menschen, Freunde, mit denen man oftmals jeden Tag zusammen ist, kennen unsere Geheimnisse. Sie teilen Freud und Leid. Sie sind unsere Vertrauten und begleiten uns oftmals Jahrzehnte lang durch die Höhen und Tiefen des Lebens, bis zu dem Tag, an dem sie plötzlich verschwunden sind.

Fassungslos stehen wir dann vor dem Geschehenen und fragen uns, was passiert ist. Was haben wir nicht gesehen? Wir waren doch Tag und Nacht zusammen. Wir haben uns doch immer alles erzählt. Warum hat er mir nicht erzählt dass…. Warum konnte er mit mir nicht darüber reden? Fragen über Fragen und dann steht man auch als beste Freundin plötzlich vor der Schuldfrage. Warum habe ich mich nur an jenem Abend nicht mit ihm getroffen? Ich hätte seinen Tod verhindern können. Fragen die auch Uli, bis heute nicht losgelassen haben.

Aber ist es wirklich möglich einen Suizid zu verhindern? Vor allem dann, wenn der Suizid Folge eine Depression ist? Wir reden ständig von Schuld doch tatsächlich müssen wir von Verantwortung reden. Kann ein Freund die Verantwortung für eine Depression tragen? Kann eine Freundin die Verantwortung für Sorgen, Ängste und schrecklichste seelische Verzweiflung tragen? Kann irgendjemand die Verantwortung dafür tragen, wie sich ein Leben abgespielt hat und kann jemand für einzelne Ereignisse verantwortlich gemacht werden, die sich auf Dauer in der Psyche eines Menschen ausbreiten ,und aus den leuchtenden Farben des Lebens ein dunkles Schwarz machen, in das kein Lichtstrahl mehr dringt? Wenn wir den Vorwurf der vermeintlichen Schuld in die Frage der Verantwortung ändern, werden wir immer zum selben Ergebnis kommen: Wir können nicht die Verantwortung für eine solche Tat tragen. Vor allem dann, wenn der Tod das Ende der Seelenqualen verspricht.

Hier steht nun Achims Baum – eine Himalaya Zypresse. Himalaya bedeutet das Dach der Welt bedeckt vom ewigen Schnee. Das passt sehr gut, denn auch die Freundschaft zwischen Uli und Achim dauert ewig und besteht noch immer.

Dieser Baum soll an Achim erinnern, der Ulis bester Freund war. Dieser Baum steht für eine Freundschaft, die mit den Jahren immer schöner und dicker wurde – so wie auch ein Baum mit den Jahren immer schöner wird. Dieser Baum soll aber auch mahnen und zeigen, durch welches Leid Menschen, die den Suizid gewählt haben, gehen müssen.

Nach wie vor ist es nicht selbstverständlich, dass man suizidale Gedanken frei äußern kann. Wenn man es tut, ist die Gesellschaft überfordert. Wir wissen nicht was sagen und raten dazu abzuwarten, denn das „geht vorüber“ oder Schokolade zu essen, denn das macht glücklich.

Jeder Baum der Erinnerung den wir pflanzen, soll Menschen mit Depressionen und suizidalen Gedanken ein kleines Licht in der Dunkelheit sein und zeigen, dass noch vieles möglich ist, auch wenn die Zukunft in Dunkelheit getaucht ist. Jeder Baum ist Hoffnung und Erinnerung zugleich.

Jedes Jahr gibt es weltweit über eine Million Suizide. In Deutschland sind es über 10 000. Alle 30 Sekunden nimmt sich irgendwo auf dieser Welt ein Mensch das Leben und alle 4 Minuten hier in Deutschland. Zurück bleiben statistisch gesehen auf jeden Menschen der gegangen ist, bis zu 22 schwerst traumatisierte Familienmitglieder und Freunde. Das sind 220 000 Jahr für Jahr in Deutschland. Zwischenzeitlich sind es Millionen Menschen in Deutschland, die schon einmal direkt von einem Suizid betroffen waren. Für diese Menschen möchte Trees of Memory da sein. Denn auch sie brauchen ein Licht in der Dunkelheit, tröstende Worte oder helfende Hände.

Wir können all denjenigen helfen, die Suizidgedanken haben. Ihnen zuhören, geduldig und beständig, auch wenn es Kraft kostet. Wir müssen nichts sagen, denn das Halten, eine Umarmung können mehr, als ein paar hilflose Worte. Wir können sie ernst nehmen und zusammen mit den Betroffenen Hilfe suchen. Wenn Freunde und Angehörige für diese Menschen Termine bei Psychologen besorgen ist schon viel erreicht. Manchmal braucht es nicht mehr. Den Betroffenen fehlt oft die Kraft und der Mut sich selbst Hilfe zu holen. Vor allem wenn man 20 Absagen bekommt, weil die Psychologen keine freien Termine mehr haben. Da können wir alle am Ball bleiben. Aber ich weiß, sich das Unfassbare anzuhören benötigt auch Energie und Mut. Wir kennen diese dunklen Perspektiven des Lebens meist nicht aus eigener Erfahrung. Trotzdem sind sie vorhanden und deshalb bitte ich Menschen mit suizidalen Gedanken ernst zu nehmen und sie nicht zu verurteilen. Nur weil wir selbst etwas nicht kennen, bedeutet es noch lange nicht, dass es nicht existent ist.

TREES of MEMORY möchte damit auf die wirkungsvollen Behandlungsmöglichkeiten von Suizidalität hinweisen. Die gibt es und sie können helfen. Ich spreche aus eigener Erfahrung, denn mit meinen Depressionen kam auch eines Tages ein Todeswunsch, der immer stärker wurde und über das Leben siegte, als ein unbedeutendes Vorkommnis mich aus der Bahn warf und mein Gehirn eine Lösung vorgeschlagen hat, das keine Lösung ist. Heute, vier Jahre danach bin ich sehr froh, dass ich damals in letzter Sekunde gefunden wurde. Ausgerechnet von meinem Partner Jose, der sich dann an Ostern 2016 das Leben genommen hat. Nur dadurch weiß ich auch, wie unwichtig das „warum“ ist. Ein Suizid ist meist eine Affekthandlung und der vorausgegangene Grund meist nicht relevant. Wenn nicht dieses Vorkommnis zum Auslöser wurde, dann wäre es ein anderes gewesen. Wenn nicht an diesem speziellen Tag, dann wäre es zwei Tage später oder einen Monat später passiert. Hätten wir an diesem speziellen Tag Zeit füreinander gehabt, dann wäre der nächste bereits verplante Tag sicher gekommen. Auch wenn wir vielleicht den letzten Tropfen geliefert haben, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, so hat doch niemand von uns dieses Fass über die Jahre hinweg gefüllt.

Zusammen mit vermeintlichen Schuldgefühlen plagt uns der Schmerz und überlagert die vielen Erinnerungen an einen wunderbaren Menschen.

Dieser Baum für Achim soll an den Menschen Achim erinnern und soll wachsen, so wie einst auch die Freundschaft gewachsen ist. Jeder Ast erzählt eine Geschichte und wenn der Wind sich in der Baumkrone fängt und es anfängt zu rascheln, dann hörst Du Uli und jeder der sich gerne an Achim erinnert, vielleicht auch sein Flüstern und sein leises Lachen.

Zum Schluss möchte ich noch einen Vers aus dem jüdischen Gebetsbuch sagen:

Beim Aufgang der Sonne und bei ihrem Untergang

erinnern wir uns an sie;

Beim Wehen des Windes und in der Kälte des Winters

erinnern wir uns an sie;

Beim Öffnen der Knospen und in der Wärme des Sommers

erinnern wir uns an sie;

Beim Rauschen der Blätter und in der Schönheit des Herbstes

erinnern wir uns an sie;

Zu Beginn des Jahres und wenn es zu Ende geht

erinnern wir uns an sie;

Wenn wir müde sind und Kraft brauchen

erinnern wir uns an sie;

Wenn wir verloren sind und krank in unserem Herzen

erinnern wir uns an sie;

Wenn wir Freude erleben, die wir so gern teilen würden

erinnern wir uns an sie;

So lange wir leben, werden sie auch leben,

denn sie sind nun ein Teil von uns,

wenn wir uns an sie erinnern.

(Jüdisches Gebetbuch)

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