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AutorenbildMario Dieringer

Trauer: Der Hoffnung und dem Leben Raum geben

Aktualisiert: 27. Mai 2020


„Es ist nicht nur der Tod, der uns im Trauerfall zusammenführt, es ist immer auch das Leben, die Liebe und oft auch die Hoffnung“, sagt Barbara Rolf, Bestatterin und Theologin, darauf angesprochen, was uns alle in der Trauer eint. Auch Iris Willecke, die als Trauerbegleiterin arbeitet rückt die Liebe in den Vordergrund: „Die Liebe hört ja mit dem Tod nicht einfach auf, sondern sie verbindet uns weiter mit den Toten. Daher ist es ganz normal, dass wir trauern, an den anderen denken und mit ihm kommunizieren“.

Wer schon einmal um einen geliebten Menschen trauern musste weiß, dass es sich dabei nicht nur um ein abstraktes Gefühl handelt, sondern um eine tief sitzende und meist sehr schmerzhafte Emotion, die tatsächlich erlebt werden muss, damit man sie nachvollziehbar machen kann. Psychologisch gesehen handelt es sich bei der Trauer um eine seelische Belastungsreaktion, wie sie auch nach traumatischen Ereignissen auftritt. Deren Intensität ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. In leichteren Fällen kann sie lediglich zu kurzzeitigen wechselhaften Stimmungsschwankungen, wie Traurigkeit, Wut, Verachtung oder Angst führen. Anzeichen für eine schwere Trauer können, über einen langen Zeitraum hinweg, sich aufdrängende Erinnerungen an das Trauma in Form von Flashbacks oder Albträumen sein.

Wie lange die Trauer andauert, lässt sich nicht genau sagen. Einige Wissenschaftler sprechen von drei bis sechs Monaten, andere von einem bis drei Jahren. Fest steht jedoch, dass es sich dabei um einen Prozess handelt und wie der Psychologe Dr. Michael Gräf weiß, unter bestimmten Bedingungen auch krankmachen kann. Nämlich dann „wenn die betroffene Person im Trauerprozess steckenbleibt und nicht in der Lage ist, zur nächsten Phase überzugehen. Der tief empfundene emotionale Schmerz kann dadurch nicht nachlassen. In solchen Fällen kann Trauer pathologisch werden. Ein wesentliches Merkmal hierbei ist, dass das ganze Leben des Betroffenen von der Suche und Sehnsucht nach der betrauerten Person bestimmt ist“.

Kann man Trauer einfach loslassen?

Trauernden Menschen wird in unserer Gesellschaft oft nach relativ kurzer Zeit klargemacht, sie mögen doch zügig wieder in die Spur kommen und am besten schnellst möglich lernen loszulassen. Daher stellt sich die Frage, ob man Trauer einfach loslassen kann, in einer Zeit, in der man die Verbindung zum verstorbenen Menschen nicht verlieren möchte oder kann. Barbara Rolf, die auch Direktorin der Bestattungs- und Unternehmenskultur der Ahorn Gruppe ist weiß, dass es zahlreiche Gründe gibt, die eine angemessene Trauer verhindert. Dazu zählen „Falsche Tapferkeit, Zeitdruck, Geldsorgen, Unaufrichtigkeit, wenn die Todesursache geheim gehalten wird, wie das bei Suiziden manchmal der Fall ist und schlechte Berater“. In der Trauerbegleitung hat Iris Willecke noch einen zusätzlichen Grund ausmachen können. Manche Hinterbliebene weigern sich unbewusst, den Tod zu akzeptieren. Diese Erfahrung hat auch Mario Dieringer, dessen Lebenspartner sich Ostern 2016 das Leben genommen hat, gemacht. „Ich habe es über Wochen hinweg einfach nicht geglaubt. Ich habe mir Tag und Nacht die Seele aus dem Leib geheult und war fest davon überzeugt, dass er jeden Moment anrufen wird oder es an der Tür klingelt und Jose mit breiten Grinsen und einem lustigen „ätsch reingefallen“ wieder auftauchen wird“. Dieses Phänomen kennt auch Hendrik Merle* aus Eltville, dessen Vater sich ebenfalls suizidiert hat. „Ich habe mich von ihm am offenen Sarg verabschiedet und trotzdem, glaube ich auch heute noch, drei Jahre nach seinem Tod, dass er irgendwo steckt und alles nur ein großes Theater war“. Der Psychologe Dr. Gräf beschreibt das als „Phase der Verleugnung, die eine Art Abwehrmechanismus gegen die psychologischen Folgen des Traumas ist, die in der Regel nur einige Tage anhält“.

Solche Beispiele zeigen deutlich, dass wer zurückbleibt, im emotionalen Chaos gefangen ist, in dem auch die Realitäten sich vermischen können. Mitunter hofft man insgeheim, der Tod sei verhandelbar. Man akzeptiert ihn einfach nicht. Ein Loslassen der Trauer wird gleichgesetzt mit einem Verrat an der Liebe zum Verstorbenen. Das kann zur Folge haben, dass Menschen nach einer gewissen Zeit pathologisch trauern und alleine nicht mehr zurück in ein erfülltes Leben finden. „Die Kunst liegt darin sich zu gestatten, die Trauer loszulassen und einzusehen, dass dies nicht gleichbedeutend mit einem vergessen oder nicht mehr lieben ist“, rät Dr. Michael Gräf. Auch Dieringer, der nach dem Suizid seines Partners das Projekt TREES of MEMORY ins Leben gerufen hat und weltweit Bäume der Erinnerung für Suizid-Opfer pflanzt, kennt solche Fälle. „Ich habe Betroffene kennengelernt, die in ihrer Trauer gefangen sind, weil Trauer mit Liebe gleichgesetzt wird. Für sie ist der Gedanke des Loslassens kaum auszuhalten. Ich habe das Gefühl, dass ihr Schmerz sie irgendwie mit dem Verstorbenen verbindet. Deshalb versuche ich ihnen die Möglichkeit zu geben, die Trauer zu übertragen und zu sehen, wie auch aus der schrecklichen Erinnerung ein schöner und mächtiger Baum wird, der einen lebendigen Kontakt zum Verstorbenen herstellt.“

Rituale sind notwendig

Für Gaby Kalkofen, die für Ihren Sohn Bruno einen Baum der Erinnerung hat pflanzen lassen, drückt ein Baum an einem Ort, der mit viel Freude und Erinnerung verbunden ist, etwas aus, das sie beim Besuch des Grabes ihres Sohnes nicht empfindet. „Der Baum bedeutet für mich Leben. Er steht für Bruno und all das was ihn ausgemacht hat. Ich fasse ihn ständig an und habe das Gefühl, da passiert etwas. Dieser öffentlich gepflanzte Baum sorgt dafür, dass Bruno nicht vergessen wird“. Ob ein solches Ritual helfen kann, hängt natürlich immer von der einzelnen Person ab und muss auch im gesellschaftlichen Kontext gesehen werden, meint Barbara Rolf. Doch fast jeder Mensch benötigt eine Möglichkeit, um seine Trauer zu äußern und seinen Gefühlen Ausdruck oder Gestalt zu verleihen. Ferner haben alte und traditionelle Rituale durchaus ihren Sinn. „Sie können innerhalb einer Gemeinschaft das aktuelle Geschehen in einen uralten Kontext stellen. Der trauernde Mensch spürt, dass Menschen seit Jahrhunderten und Jahrtausenden in solche Situationen kommen. Das verbindet und hilft, das Ereignis einzuordnen und als „allgemeine“ Lebenserfahrung zu betrachten“.

„An der Trauer gibt es keinen gesunden Weg vorbei“, mahnt die Trauerbegleiterin Willecke und Betroffene ahnen, dass der Prozess sehr lange dauern kann und auf keinen Fall mit der Beerdigung endet. Niemand kann die persönliche, aktive Arbeit, die es zu leisten gilt, abnehmen. Der Abschied muss verschiedene Stadien durchlaufen, bis Betroffene wieder ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben genießen können. Auffallend ist, dass Männer und Frauen unterschiedlich trauern. Männer halten sich im familiären und psychologischen Kontext mit ihrer Trauer eher zurück, um die Familie so besser zusammen zu halten. Zudem setzen sie sich in der Regel weniger mit ihren Gefühlen auseinander und tendieren zum Schweigen. Frauen leben Ihre Trauer meist aus und sprechen darüber. Dieser unterschiedliche Umgang mit der Trauer führt häufig zu Beziehungsproblemen und nicht selten zum Auseinanderbrechen der Familie. Damit dies nicht geschieht rät Dr. Gräf dazu, solchen Problematiken mit einer Therapie zu begegnen, in der die Kommunikation im Vordergrund steht. „Paare können hierbei lernen, dass gemeinsam bewältigte Krisen ihre Partnerschaft auch vertiefen können, sofern sich beide ihrer Trauer stellen“.

Hilfe finden Betroffene in zahlreichen Selbsthilfegruppen und Trauerseminaren vor Ort, über das Internet. Das Angebot einer persönlichen Trauerbegleitung ist meist dichter am Trauernden und den individuellen Problemen. Die Vereine TREES of MEMORY e.V. und AGUS e.V. stehen Hinterbliebenen von Suiziden in ihrer Trauer kurz- und langfristig beiseite.

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