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Der Tod als Puppenspiel

Aktualisiert: 27. Mai 2020


1. Tödliche Kreisgedanken Im Sommer 2012 wurde ich selbst das erste Mal von heftigen, nimmer enden wollenden Suizidgedanken gequält. Wenige Tage zuvor legte mir Meister Zufall das Ende meiner Ehe vor die Füße. Bis in die letzte Kammer meines Herzens und meiner Seele verletzt, flüchtete ich nach Italien zu meiner Schwester. In Bologna wollte ich wieder Kraft tanken und mir überlegen, was ich aus meinem Zufallsfund mache. Dazu kam ich nicht, denn mein Gehirn beschäftigte sich Tag und Nacht mit meinem Tod. Das „wie“ war klar, das „wann“ noch offen. Aber das war ich nicht. Warum sollte ich mich wegen einem Kerl umbringen? „Ich brauche nur vor die Tür zu gehen und in einer Woche habe ich einen Neuen, wenn ich es darauf anlege“, dachte ich mir. Doch der Gedanke sterben zu wollen, hielt mich im eisernen Würgegriff. Zwei Wochen später fuhr ich nach Hause. Die Konfrontation meines damaligen Partners mit meiner Entdeckung endete in einem Fiasko.

Die körperlichen Symptome, die mich schon seit einem Jahr heimsuchten, wurden in Folge immer schlimmer. Ich vergaß alles und jedes. Konnte mich nicht mehr erinnern, wo ich die Schlüssel hingelegt hatte und fragte mich auf dem Weg zum Klo, was ich eigentlich wollte. 50 Meter vor der Haustür, verlief ich mich mit dem Hund beim Gassigehen und verlor die Orientierung. Ich starrte meine Gesprächspartner an und konnte kaum noch antworten, weil ich ihnen schon nach drei Wörtern nicht mehr folgen konnte. Was war der Anfang des Satzes? Wovon spricht er? Ich wusste es nicht. Tage später brach ich im Supermarkt weinend zusammen. Ich wusste nicht mehr warum. Ich wollte nur noch, dass es aufhört. Das letzte woran ich mich erinnere ist, dass ich meinen besten Freund noch angerufen habe und er brachte mich in die Klinik. Ich ließ mich in die geschlossene Psychiatrie einweisen. Ich hatte Angst vor der Todesstimme im Kopf, die vehement mein Ende forderte.

Ich hatte auch Angst vor Menschen, die in meinen Kopf schauten und sich erdreisteten mir zu erklären, wie ich ticke. Heute bin ich ihnen sehr dankbar. Ich hatte ständig Angst vor mir selbst. Auch weil der Schmerz einfach nicht nachlassen wollte. Ich habe fast vier Wochen lang Tag und Nacht geweint. Die Körperlichen Schmerzen waren so groß, dass ich verrückt geworden wäre, wenn ich es nicht schon gewesen wäre. Ich war in der geschlossenen Pychiatrie und stellte fest: Wer hier ist, hat nichts mehr vom Leben zu erwarten. Wir wurden verwahrt und ruhig gestellt. Auch ich. „Gott sei Dank“ muss ich sagen, sonst hätte mich die Heulerei umgebracht. Schließlich kam ich in andere Abteilungen, wurde zu meiner allergrößten Überraschung mit Depressionen diagnostiziert und lernte mich im Laufe der darauf folgenden 4 Monate selbst kennen. Erschrocken stellte ich fest, wie viele Jahrzehnte ich schon depressiv war und entdeckte die Wurzeln meiner Krankheit und verstand, auf welchen Säulen meine Psyche ruhte. Ich verstand, wie ich tickte, was passiert wenn eine Säule bricht und analysierte die Art und Weise, wie ich den Herausforderungen des Lebens begegne. Lernte meinen persönlichen Schmerz von einer neuen Seite zu betrachten, zu verstehen, zu verachten und ihm neu zu begegnen. Ich verstand mich und verstand plötzlich, wie ich dem Leben begegnen musste, um mich ganz langsam aus der Depressionsfalle zu schleichen.

2. Ich konnte es nicht steuern oder abbrechen Mitte 2014 hatte ich mich wieder im Griff und konnte wieder arbeiten gehen. Mein Leben veränderte sich spürbar. Meine Ehe auch. Sie ging siechend, endgültig den Bach runter. Damit brach eine von drei wichtigen Psychosäulen weg: „Beziehung“. Der Halt in meinem Leben. In dieser Zeit lernte ich Jose kennen. Ein Lichtblick am dunklen Firmament. Aber schon da eine Herausforderung, die an meinen Kräften zehrte. Es ging bergab. Immer steiler, immer schneller. Am 28. Dezember saß ich morgens um Acht am Küchentisch und konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Der körperliche Schmerz legte exponentiell zu. Der Augendruck steigerte sich bis kurz vor „platzen“. Die Bauchschmerzen waren unerträglich. Ich konnte nicht mehr da durch. Nicht nochmal Psychiatrie. Nicht nochmal neu anfangen. Nicht nochmal denselben Scheiß. Es war zu viel. Auf Dauer, für jetzt, für die Zukunft und wofür? „Ich kann das einfach nicht mehr“, schrie ich und plötzlich hing ich wie eine Marionette an bösen Fäden. Ein Puppenspiel, das nicht das Meine war, für das ich nicht das Storyboard geschrieben habe. Der große Spieler im dunklen Loch über mir, lachte laut und schraubte eine Weinflasche auf. Er zelebrierte Pille für Pille, Schluck für Schluck eine Drama, das langsam aber sicher in den letzten düsteren Akt wechselte. Es gefiel mir nicht was passierte aber ich konnte es nicht ändern. Das stand nicht mehr in meiner Macht und die Entscheidung traf ein Anderer. Dann wollte ich nur noch, dass es aufhört, egal was und egal wie. Kein Gedanke an Freunde, meine Mutter, meine Geschwister, meinen Ex oder Jose. Es war ein Einmannstück. Ein Drama in drei Akten: Geburt, Leben und jetzt war das Sterben dran. Ganz anderes, als jemals gedacht, erhofft, geplant, gewünscht.

Es war zwischen den Jahren, 28. Dezember und mittlerweile zehn Uhr morgens. Niemand der Freunde war in der Stadt. Auch mein Ex-Mann nicht und Jose war auf dem Weg in den Urlaub. Er war zu dieser Zeit eine schöne Bekanntschaft in die ich mich verguckt hatte, nicht mehr. 120 km entfernt, auf der Autobahn, hatte er dann dieses Gefühl. Kein schönes Gefühl. Etwas das sich breit machte im Bauch und rapide größer und mächtiger wurde. Keine seiner Nachrichten an mich wurde beantwortet. Kurzentschlossen drehte er um und fuhr trotz Eis und Schnee mit Höchstgeschwindigkeit zu meiner Wohnung. Mit Hilfe des Nachbarn öffnete er die Wohnung und fand mich. Bereits dunkelgelb und ohne Atem, wie er immer sagte. Im herbeigerufenen Notarztwagen gingen mir dann die Lichter endgültig aus. Es war vollbracht und der Vorhang ist gefallen. Doch irgendwer hat wohl „Zugabe“ gerufen und man holte mich zurück. Irgendwann wachte ich auf der Intensivstation auf. Der Mund und Rachenraum so durchgetrocknet, dass ich nur noch röcheln konnte, Schmerzen im ganzen Leib und im Penis steckte ein dicker Schlauch. Wenn das der Tod war, dann wollte ich wieder weg aber ganz schnell.

3. Die Stimme nach der Party

Die dritte und bisher letzte Episode von massiven Suizidgedanken überkamen mich im August 2017. Ich hatte mich von meinem Freunden in Berlin gewünscht, nochmals auf ein großes Musik-Event zu gehen, bevor ich dann mit ToM loslegen werde. Wir landeten auf der VooV. Ein Goa-Trance Festival, das wir schon früher immer wieder besucht hatten und jedes Mal extrem viel Spaß hatten. Auch dieses Mal. Hans und Mike gaben sich alle Mühe, dieses letzte Mal zu einem vollen Erfolg werden zu lassen. Der Tag an dem wir ankamen, begann mit medial schlechten Nachrichten. Der Sänger von Linkedin Park hat sich das Leben genommen. Große Karriere, viel Ruhm, noch mehr Geld, liebevolle Familie und ein Drogenproblem. So könnte man sein Leben zusammenfassen. Und Depressionen. Einen ganzen Haufen davon. Alles zusammen ergibt oftmals eine tödliche Mischung.

Nun denn, wir feierten auf jeden Fall und genossen jede Minute. Es gibt unzählige Bilder, auf denen wir uns alle krumm und schief strahlen. Es war so toll. Bis zu diesem Sonntag Mittag, als vollkommen unvermittelt, ein böser Mann mit unglaublich tiefer und hässlicher Stimme sich in meinem Kopf einnistete und fordernd, befehlend, mit nie gekannter Härte forderte: „Nimm dir das Leben. Jetzt. Du hast alles da was Du brauchst. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt. Tu es. Sofort. Los mach schon …. „ Erschrocken und in Panik habe ich alles stehen und liegen gelassen und suchte sofort die Gesellschaft meiner Freunde. Doch der Typ ließ nicht nach. Alle fünf Minuten forderte er meinen Tod. Massiv, deutlich, keine Widerrede duldend. Ich wusste nicht mehr was ich tun sollte und vertraute mich Hans an. „Ohje ohje“ sagte er und es war klar, dass ich ab jetzt keine Sekunde mehr allein bleiben durfte. Ich hatte wieder Angst. Nicht vor mir, sondern von der Macht des bösen Mannes in meinem Kopf. Und dieser Kerl ließ nicht nach. Alle fünf Minuten wollte er meinen Tod. Auch am Montag. Es wurde so schlimm, dass ich auf der Autobahn eine Pause einlegen musste. Ich konnte einfahc nicht mehr weiterfahren. Zur Stimme, gesellten sich schlimmste Schwindelgefühle und ich hatte laufend das Gefühl die Kontrolle über mich und den Wagen zu verlieren. Am späten Nachmittag hatten wir es endlich geschafft. „los mach es endlich. Worauf wartest Du noch. Du bist in deinem Zuhause in Berlin. Es gibt keinen besseren Ort für Dich. Hier kannst du gehen. …“ Mein potentieller Mörder oder Henker, wie man ihn auch benennen wollte, war noch immer da. Eigentlich wollte ich Montag abend nochmals aus dem Haus und gepflegt wo chillen gehen. Ich habe es nicht gewagt das haus von Hans ohne Begleitung zu verlassen. Ich hatte Angst, dass mich der Mann im Kopf auf dem SBahn-Steig vor die Bahn schubsen würde. Ich konnte das Haus nicht verlassen. Am Dienstag war es noch immer nicht besser. Ich hatte angefangen Atosil in großen Mengen zu fressen, um der Stimme den Saft abzudrehen. Sie wurde allerdings lediglich schwächer und nicht mehr ganz so gräßlich mächtig. Nacht nahm ich Schlaftabletten und am Mittwoch meldete sich der Mann im Kopf nur noch alle 10 Minuten, anstatt schon nach fünf Minuten wieder zu fordern. Ich musste zurück nach Frankfurt. Mir ging es beschissen, doch ich musste einfach zurück. Ich hatte Angst, da nicht lebend anzukommen. Es sollte noch weitere zwei Tage so gehen und jeden einzelnen Tag wusste ich nicht, ob ich am Abend noch leben würde. Es war schlimm. Sehr schlimm.

Kein freier Wille

In allen drei Fällen kann ich mit absoluter Sicherheit sagen, dass diese Gedanken und die Tat selbst nicht durch meinen freien Willen gesteuert wurden. Ich wollte leben und nicht sterben. Ich wollte Mario sein und keine Marionette. Doch ich hatte keinerlei Einfluss auf das was geschah. Ich hatte Glück, dass ich zwei Mal stark genug war, um es nicht zum Äußersten kommen zu lassen. 2014 hatte das nicht geklappt. 2017 fehlte nur noch wenig. Wer die Stimmen im Kopf hat, will sie eines Tages nur noch loswerden, möchte dass sie aufhören. Sterben möchte niemand.

Viele Hinterbliebene behaupten, dass es der freie Wille war, der den Angehörigen dazu verleitet hat den letzten Schritt zu gehen. Ganz ehrlich: Woher wollt ihr das wissen? Nur weil da ein Testament liegt? Nur weil derjenige im Internet recherchiert hat? Nur weil diejenige Dinge schon lange vorher gekauft hat? Sprecht mal mit denjenigen, die einen Suizid überlebt haben und hört auf, einen Suizid schön reden zu wollen und Helden aus den Kranken zu machen. Der Suizid ist das letzte Symptom einer richtig miesen Krankheit, deren Verlauf, deren Gefühle, deren Attacken sich niemand vorstellen kann, der es nicht selbst erlebt hat. Auch ein solches Symptom kann mal stark und mal schwach sein. Dann ist es stark und „wir schauen plötzlich im Internet nach Suzizidmöglichkeiten oder gehen tödliche Dinge einkaufen oder schreiben schon mal ein Testament“. Und dann ist da wieder der gesunde Geist, der panikartig dafür sorgt, dass wie zurück in unser Leben finden. Wir sind froh nochmals die Kurve gekratzt zu haben. Und plötzlich, aus dem Hinterhalt, schlägt die Krankheit wieder zu und wir rennen los, springen, schlucken, schneiden oder tun was auch immer getan werden muss und das nicht selten in einem Moment wo Stunden zuvor noch die schönsten und glücklichsten Bilder gemacht wurden. Getrieben von einem bösen Geist im schwarzen Loch über und unter uns, beenden wir das Leben mit einem Fingerschnipp. Kein Gedanke an die Familie, die Freunde, die Lieben. Nur noch das Ende vor Auge und dabei tun wir Dinge, an die wir uns nicht mehr erinnern können. SMSen schreiben, noch schnell was hin kritzeln, noch schnell einen letzten Facebook Post online stellen und vieles mehr. Und dann sind wir tot und die Gesunden glauben, dass wir voller Charakter, aus freien Willen, um ja niemandem zu schaden und weil wir doch so traurig waren und niemand unsere Hilferufe hat hören wollen, gegangen sind. Sorry, wie sind keine Helden, wir sind keine Feiglinge, wir sind einfach nur Opfer. Wenn bei einer Krebserkrankung die Organe versagen sind wir alle voller Mitgefühl, Ohnmacht und Trauer und niemals käme uns in den Sinn zu beurteilen, wie es dem Sterbenden wohl ergangen ist. Wenn unser Gehirn versagt, nachdem die Depressionen nicht mehr aufzuhalten waren und böser als jeder Krebs gestreut haben, wissen plötzlich alle möglichen gesunden Menschen darüber Bescheid, wie es uns ergangen ist und wie wir alles geplant haben.

Nein, jeder Suizid, geplant und nicht geplant ist ein Symptom, das sich auf vielfältige Weise zeigt. Es gilt zu akzeptieren, dass es Dinge und Perspektiven gibt, die man sich nicht vorstellen kann. Trotzdem sind sie da. Natürlich gibt es auch Ausnahmen und selbstverständlich nehmen sich auch Menschen das Leben aus freien Stücken, um dem Krebstod zuvor zu kommen, um ein Beispiel zu nennen. Und natürlich gibt es auch Menschen die psychische Krankheiten haben, jahrelang darunter leiden und sich als nicht weiter therapierbar sehen, und in klaren Momenten die tödliche Entscheidung treffen. Ein Suizid, der Depressionen als Grundlage hatte, ist keine freie Willensentscheidung. Auch die Aussage: Er / Sie war jahrelang so traurig, das wollte sie oder er nicht länger ertragen, ist kein Sterben aus freien Stücken. Wäre die Depression nicht gewesen, wäre es nie so weit gekommen. Nehme ich mir das Leben, um der Tragödie einer tödlichen Krankheit zuvor zu kommen, treffe ich persönlich eine Entscheidung. „Ich werde jetzt sterben“. Bei einer Depression sagt das Gehirn: Du wirst jetzt sterben und unser freier Wille wird nicht nach seiner Meinung gefragt. Wir sind alles Opfer einer beschissenen Krankheit, die man nicht sieht und die man nicht raus schneiden kann. Oder wie mein Ex mich mal anpflaumte: „Dann geh halt zum Psychiater und lass es weg machen“.

Ich finde es nicht nur unangebracht, sondern auch vermessen, dass sich Personen mit mir streiten, die selbst noch keinen Tag an Depressionen erkrankt sind. Die selbst noch nie Suizidgedanken hatten. Wer wird es wohl am besten wissen? Diejenigen die Tod sind, diejenigen die diese Krankheit haben und einen Suizid überlebt haben oder diejenigen, die gesund sind und keine Vorstellung von dem haben, was uns widerfahren ist? Ich berichte von mir und ich berichte von vielen Gesprächen mit Betroffenen. Ich berichte von Fakten, die ich selbst erlebt habe und für die ich fast mit dem Leben bezahlt habe. Ich schließe andere Motivationen keinesfalls aus. Alles ist möglich – aber selten. Um was wird also gestritten? Um die Wahrheit? Die hat viele Gesichter und zeigt sich jede Sekunde in vielen Varianten. Kommt wohl auf die eigene Lebensblase und Perspektive an, aus der man heraus betrachtet oder agiert.

Mit TREES of MEMORY möchte ich vor allem denjenigen Mut machen, die seit Jahren in der persönlichen Dunkelheit sitzen. Ich war da auch und auch ich dachte, dass es keinerlei Perspektive mehr gibt. Insbesondere nach dem Suizid meines Partners. Und plötzlich war die Idee von TREES of MEMORY im Kopf und mein Leben hat sich von einem Tag auf den anderen geändert. Ich hätte das niemals für möglich gehalten. Deshalb kann man tagtäglich mitverfolgen, wie ich dieses Projekt umsetze. Mit allen Höhen und Tiefen. Es gibt für jeden mehrere Perspektiven, die sich im Verborgenen halten und lange Zeit nicht zeigen. Das gilt für Kranke und für die Gesunden. Nur, weil man sich etwas nicht vorstellen kann, bedeutet es nicht, dass es nicht existiert. Das Licht existiert überall, auch im Dunkeln. Und vielleicht kann ich dazu beitragen, dass irgendwer, dieses Licht für sich ebenfalls entdeckt.

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