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Rubrik: Hilfe nach Suizid - Wie Angehörige mit der Weitergabe der Lebensgeschichte umgehen.




Die Geschichte, die bleibt

Es gibt einen Punkt im Leben, an dem du realisierst, dass nichts wirklich verschwindet. Menschen sterben, verschwinden aus deinem Alltag, lösen sich auf – aber ihre Geschichten bleiben. Sie kleben an dir wie der Rauch eines verbrannten Hauses, setzen sich in die Ritzen deines Bewusstseins, kriechen in deine Träume und nisten sich in deine Erinnerungen ein. Und dann stehst du irgendwann da, mit einer Geschichte in den Händen, die nicht deine ist und doch ist sie deine – aber die dich nie wieder loslässt.

Wenn du jemanden durch Suizid verlierst, dann bleibt nicht nur die Abwesenheit. Es bleibt das Echo von allem, was war – und allem, was nicht mehr sein wird. Eine Leerstelle, die schreit, aber keine Stimme mehr hat. Und dann ist da diese Frage, die sich festbeißt wie ein Parasit: Was mache ich mit dieser Geschichte? Erzähle ich sie weiter? Schweige ich? Verändere ich sie, weil die Wahrheit zu schmerzhaft ist?

Das Gewicht der Worte

Ich erinnere mich an die Tage nach seinem Tod. Wie ich durch die Straßen lief, rastlos, taub, nicht wissend, was ich mit den Worten anfangen sollte, die mir im Hals steckten. Die Leute fragten, wie ist es passiert?, und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Die Wahrheit? Dass er nicht mehr wollte? Dass ich mich mit ihm gestritten hatte? Dass ich ihn wütend allein gelassen hatte? Dass er seiner Erkrankung Depression erlag, während die Welt einfach weiterlief?


Ich merkte schnell: Menschen ertragen die Wahrheit manchmal nicht. Sie wollen Erklärungen, aber keine Ehrlichkeit. Das spüre ich auch hier in den sozialen Netzwerken. Ehrlichkeit verschreckt manchmal. Sie wollen sich an etwas festhalten, das ihr eigenes Weltbild nicht erschüttert. Also schweigen viele Betroffene. Verharmlosen. Reden von einem "plötzlichen Verlust" oder einem "tragischen Unglück". Manchmal wird die Geschichte umgeschrieben, ein Unfall daraus gemacht – oder ein Heldentod. Damit es weniger wehtut. Damit es in die Gesellschaft passt, die Angst vor Schmerz hat.

Aber was ist mit uns? Mit denen, die zurückbleiben? Ist das unsere Aufgabe? Die Geschichte so zu formen, dass andere damit klarkommen und wir den Rest unseres Lebens mit einer Lüge verbringen?


Die Entscheidung

Irgendwann stand ich vor seinem Bild. Blickte in seine Augen, die mir nichts mehr sagen konnten. Und ich wusste: Ich werde es nicht tun. Ich werde seine Geschichte nicht weichzeichnen, werde keine Lügen erzählen, nur damit es sich angenehmer anfühlt.

Denn wir tragen nicht nur Geschichten weiter. Wir tragen auch Verantwortung.

Es gibt so viele, die kämpfen. Die sich fragen, ob sie noch weitermachen können. Die glauben, sie seien allein mit ihrem Schmerz. Und es gibt so viele Angehörige, die sich schuldig fühlen, weil niemand über das spricht, was passiert ist. Weil der Tod nicht benannt wird, als hätte er nie existiert.

Aber er hat existiert. Und ich existiere auch. Also erzähle ich.

Erzähle, dass Suizid real ist. Dass Menschen nicht sterben, weil sie feige sind, sondern weil sie keinen Ausweg mehr sehen, weil sie totkrank sind. Erzähle, dass Schuld ein Parasit ist, den die Gesellschaft uns aufdrängt, weil sie sich nicht mit der Realität auseinandersetzen will. Erzähle, dass wir diejenigen sind, die die Stille brechen müssen – weil sonst nichts bleibt außer diesem ewigen Schweigen. Erzähle, dass Joses Tod und ich einen Unterschied machen werden.


Deine Wahl

Ich sage nicht, dass es leicht ist. Es ist verdammt schwer. Aber die Geschichte wird bleiben – egal, ob du sie erzählst oder nicht. Die Gerüchte werden ihre Runde machen. Wer Lügen erzählt hat etwas zu verheimlichen, ergo: doch schuldig. Die Frage ist nur, ob du die Wahrheit für dich behältst oder ob du sie nutzt, um anderen zu helfen.

Denn eines habe ich gelernt: Wenn wir sprechen, wenn wir die Wahrheit nicht verstecken – dann verliert der Tod ein Stück seiner Macht. Und dann, vielleicht nur dann, können wir wirklich weiterleben. Ich kann es und schau, was aus meiner Geschichte wurde: TREES of MEMORY. Hätte ich es verschwiegen, wäre ich heute tot. Wenn dich dieser Beitrag berührt hat oder du jemanden kennst, der mit der Frage nach der Wahrheit kämpft, dann teile ihn, kommentiere und schreibe mir deine Gedanken oder speichere ihn für später. Manchmal kann genau diese eine Nachricht den Unterschied machen – für dich oder für jemanden, der sie dringend braucht. Lass uns gemeinsam ein Zeichen setzen: Niemand muss diese Last allein tragen. 💙 #DuBistNichtAllein

 
 
 

1 commento

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Danke für diesen Beitrag, Mario. So viele deiner Sätze gehen mitten ins Herz.

Und danke auch für den Hashtag dubistnichtallein. Kam grade zum richtigen Augenblick.

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