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AutorenbildMario Dieringer

Beziehungen nach einem Suizid




Heute möchte ich mal ein Thema aufgreifen über das eigentlich selten gesprochen wird. Wie sieht es eigentlich aus mit einer Beziehung, wenn man den Partner durch Suizid oder generell durch den Tod verloren hat? Das ist wirklich ein Thema das nicht so leicht zu besprechen ist, zumindest für mich. Wie oft höre ich - egal ob von Frauen oder Männern - es kann doch nicht sein, dass so einer, wie Du keinen mehr bekommt. Es ist ja immer die Frage ob man will, was man bekommen kann.... ich muss ja auf mich aufpassen ...


Ich weiß gar nicht so richtig womit ich eigentlich anfangen soll ..... Es gibt ein vorher und ein nachher. Ich war ja immer schon der Beziehungstyp. Ich hatte 4 Beziehungen, die sich fast aneinander gereiht haben und die allesamt mehrere Jahre bzw. auch Jahrzehnte gedauert haben, seit meinem 26ten Lebensjahr. Wenn sich mein Herz entscheidet, dann hat es sich entschieden und ich hab nie die Typen, wie andere Leute Unterhosen gewechselt. Die letzte Beziehung war mit Jose, der sich nach 2,5 Jahren das Leben nahm.


Danach war nichts mehr, wie es war. Die ersten drei Jahre ging gar nichts, ja noch nicht mal Sex. Tatsächlich hat es sechs Jahre gedauert, bis ich mich wirklich wieder verlieben konnte. Dummerweise in den falschen Mann aber egal, viel wichtiger ist, dass es jetzt nach sieben Jahren wieder uneingeschränkt möglich ist. Vor zwei Jahren war das noch nicht so. Ich weiß, andere Männer trauern anders und haben schon nach einem Jahr wieder jemand. Dazu gehöre ich offensichtlich, vielleicht auch leider, nicht.


Ich habe die Zeit gebraucht, um alle angesammelten Beziehungswunden heilen zu können und um mir dessen bewusst zu werden, was nie mehr geht. Meine alten Beziehungskonzepte, die auf Sicherheit, ein halbwegs funktionierenden Alltag ausgerichtet waren, funktionieren nicht mehr. Es war nicht wichtig, ob man als Team funktioniert hat oder wirkliche Gemeinsamkeiten hatte, weil die "wir haben nur Spaß" Ebene viel wichtiger war.


Nachdem meine erste Beziehung so gnadenlos, was Monogamie angeht, den Bach runter ging, habe ich nicht mal mehr darauf wert gelegt. Das änderte sich erst wieder in der letzten Beziehung mit Jose, weil alles andere für mich unvorstellbar und vor allem unfühlbar war.


Und jetzt bekomme ich das große Kotzen, wenn ich all die offenen Beziehungen sehe. Es kann sich niemand vorstellen, was es mit einem macht, wenn Dir der Partner durch den Tod entrissen wird, während Du vielleicht gerade bei einem anderen warst. Ich habe keine Worte, was dieser Verlust mit mir gemacht hat. Das lässt sich nie wieder gut machen - nie wieder. Dieser Moment fühlt sich im Nachhinein wie die Kreuzigung Deines Selbst an.


Irgendwann müssen wir alle abtreten schon klar, aber ich will die wenige Zeit die man zusammen noch hat, nicht an jemanden verschwenden, dem meine Seele egal ist und der sich nur für meinen Schwanz interessiert. Ich kann einfach keinen gehaltvollen Sex mehr haben, wenn da nicht wirkliche Liebe im Hintergrund mitspielt. Ich will mich am Morgen auf den Abend freuen, weil da nur ein Kerl wartet, dem es hoffentlich auch so geht. Und ich will auch keinen Sex mehr haben, der durch Druck definiert wird, sondern den in dem man etwas teilen oder mitteilen möchte. Ich will mit keinem mehr in die Kiste springen, nur um zu sehen ob das jetzt alles toll ist, sondern weil die Umstände ein gemeinsames Erleben fordern.


Früher war mir die Erschaffung von materiellen Werten, Sicherheit und Wohlstand wichtig. Das spielt heute gar keine Rolle mehr. Die Werte die heute wichtig sind, sind Loyalität, Vertrauen, Gemeinsamkeiten, Wertschätzung, Respekt und bedingungslose Aufrichtigkeit. Aber mit am wichtigsten ist mir die Zeit, die man gemeinsam gestaltet. Nicht das Gestern, nicht das Morgen - sondern das Jetzt, das uns von Herzschlag zu Herzschlag voran treibt, der Ewigkeit entgegen.


Mir ist es wirklich egal, ob ich in einer erbärmlichen Einzimmer-Buchte in einem Drittweltland bin oder im Berliner Pent-House, weil die Magie, wenn sich die Hände berühren den Zauber der sich begegnenden Seelen offenbaren und erst daraus die Potentiale und Gaben entstehen, die eine gemeinsame Kindnatur frei lassen, die sich in der neu gewonnen Unbeschwertheit austobt. Es gibt nichts mehr, das für mich wichtiger ist. Ich kann mich einfach nicht mehr übergehen.


Wenn ich mir Profile in einschlägigen Foren durchlese kann ich spüren, wie toxisch und schmerzhaft das meiste davon auf mich wirkt. In Gesprächen wird nicht mehr zugehört, man sieht nur noch das Spiegelbild seiner Gedanken, es wird nichts mehr hinterfragt und es gibt niemanden mehr der mitfühlend hineinfragt und versucht eine Perspektive einzunehmen, die ihm fremd ist. Und Akzeptanz, so scheint es, ist ein ganz großes Fremdwort, weil es sich mit dem eigenen Ego einfach nicht vertragen will.


Ich spüre, wie nicht nur ich, auch andere, mit wahnsinnigen und wahnwitzigen Ängsten zu kämpfen haben, weil sie gar nicht mehr sich selbst sein dürfen, sich im Beruf und privat verstellen müssen und es als Makel angesehen wird, das zu tun, was ich in dieser Sekunde mache: ungefiltert raushauen, was einen bewegt oder ausmacht und davon reden worüber eigentlich keiner spricht.


Ich will mich nicht mehr hinter sinnfreien Gesprächen um Geld, Karriere, Drogen oder Sex verstecken, sondern diesen besonderen Moment erleben, in dem man das Gefühl hat die Seele des Gegenübers zu erkennen und mit den richtigen Worten zu ertasten und zu sehen, dass da so viel mehr dahinter ist. Ja, ich weiß - das ist ein Geschenk und ich weiß, wie selten das vorkommt. Aber ich weiß es gibt es, weil ich das hatte - mit meinem ersten Freund, auch mit Jose und mit....


Die Kunst besteht immer daran sich zu trauen, und sich darauf einzulassen, trotz aller Sorgen und Ängste. Und oh ja, ich habe riesige Ängste, die der ganze Scheiß hervorgebracht hat - nein Singular, eigentlich nur eine einzige Angst: Verlustangst - nicht davor, dass der Typ wieder abhauen könnte. Nein, davor dass ich nochmals ein Todesdrama miterleben muss.


Natürlich weiß ich, dass jeder von uns sehr gute Chancen hat die kommende Minute nicht mehr zu überleben. Das gehört dazu. Ich glaube das ist etwas, das ich nur dann abstreifen kann, wenn mich die Liebe in die ausschließliche Gegenwart katapultiert. Aber mit einem 70jährigen Partner bekomme ich das nicht hin. - bestimmt nicht.


Ich bin nicht mehr in der Lage Menschen eine Struktur aufdrücken zu wollen und Gefühle, Verbindungen und die Liebe in Strukturen hinein zu pressen. Es geht nicht mehr. Es muss sich einfach das Puzzle-Teil finden, das nicht qualvoll in eine Lücke gepresst wird, sondern sich da ganz entspannt dazugesellt, weil wir nur zusammen das Bild vervollständigen.


Ich will, dass das "uns" aufersteht, sich beständig neu entwickelt und sich von selbst zeigt, was eigentlich gelebt werden möchte. Ich kann einfach nicht mit faulen Kompromissen beginnen und ich kann auch nicht mit einer falschen Hoffnung in etwas hineintreten, das nur in einer Traumwelt besteht, die man aber unter keinen Umständen verlassen will, weil man sich nicht vorstellen kann, dass alles was jemals existiert hat, irgendwann man ein Traum war, den man nur in die Hand nehmen muss, um ihn zu realisieren. Auch die, der passenden oder perfekten Beziehung.


Ich weiß nicht mehr, was die perfekte Beziehung ist. Es kann nur die sein, in der jeder sein darf, in der man sich völlig unerwartet öffnet und Dinge erzählt, die noch nie jemand zuvor gehört hat, ohne Angst haben zu müssen. Es kann nur dann perfekt sein, wenn man sich immer spürt - mit jeder Faser, mit jedem Atom, mit jedem Parmanu, das in einen eindringt. Es ist die Beziehung, die nicht aus den Brauchen heraus geboren wird und in der niemand benutzt wird. Eine Beziehung in der Unechtes keinen Raum findet und sich jede Lüge selbst der Lächerlichkeit preis gibt.


Perfekt können nur die Beziehungen sein, wo alle Traumata auf den Tisch kommen, Konflikte aufgrund falscher Projektionen mit Liebe angegangen werden, wo das Du und ich exakt 50 zu 50 an Raum einnehmen.


Jede Begegnung, die uns emotional mitnimmt hat ihre karmische Vorgeschichte. Manche gut, manche schlecht aber immer dann, wenn zwei Menschen aufeinandertreffen, die sofort spüren, dass da etwas geschieht, dass etwas komisches passiert, dass etwas bewegt wird, dass etwas aufgewühlt wird, dann beginnt ein Prozess der gegenseitigen Heilung, denn nur das was sichtbar wird und im Licht ist heilen kann. Und wenn ich mir die Quintessenz aus all meinen Trauerreden und all meinen Hochzeitsreden ansehe, wenn von der noch jungen oder der 70jährigen Liebe ansehe, dann ist Liebe immer gegenseitige Heilung und gegenseitige Komplettierung. Die Liebe macht aus dem meisten Menschen den Menschen, der sie oder er immer sein wollte und nie konnte, weil ein wichtiger Teil gefehlt hat. Das ist übrigens der Grund, weshalb fremd gegangen wird, weshalb man Affären hat, weshalb man sich scheiden lässt. Man ist nicht mehr komplett. Es fehlt was wichtiges.


Ich habe vor zwei drei Jahren mal in einem Profil von einem relativ jungen Kerl gelesen, dass er schrieb, dass er einen Beschützertyp braucht. Damals habe ich echt laut aufgelacht. Heute denke ich, dass er zum Ausdruck brachte, was ich mehr als dringend benötige. Ganz klar auch einen Beschützertyp. Der Kerl, der mich mit seiner Authentizität, seinem Lachen und dem Schwert seines spürbaren Herzschlages für uns vor meinem größten Feind schützt: Der Angst.


.... und das Kind, der kleine verpisste Träumer Mario weiß, dass es den Kerl da draußen gibt ... ganz bestimmt .....


Jeder der seinen Partner oder seine Partnerin durch den Tod verloren hat, fühlt dass es auch in Beziehungsfragen nie mehr ein zurück gibt und gravierende Änderungen eingetreten sind, die nicht leicht zu leben sind. Und nur diejenigen, die vom Glück gepampert durch das Leben schweben beleidigen uns oft mit der Aussage:

Du bist ja nicht mehr beziehungsfähig oder ich glaube zu lebst schon zu lange allein.

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